Keiner kann und muss alles machen – das ist eine der Kernaussagen des Predigttextes für kommenden Sonntag. In der Apostelgeschichte wird erzählt, wie die Jünger von den Anfragen aus der Gemeinde überfordert sind und daher Aufgaben aufteilen. Sie kümmern sich um Gottesdienst und Predigt, sieben Diakone sorgen für die gerechte Essensverteilung an arme Gemeindemitglieder. Die Aufgabenteilung von Kirche und Diakonie hat also eine sehr lange Tradition. Auch die Vorlage des Strukturausschusses „Zehnvor“ hebt darauf ab, dass bei begrenzten Ressourcen eine gut überlegte Aufteilung der Aufgaben sinnvoll ist. Ich habe mir heute mal einen ersten Überblick verschafft.

In seinen „theologischen Gedankensplittern“ erinnert Superintendent Holger Erdmann an berühmte Worte von Dietrich Bonhoeffer, die vollständig lauten:

„… unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in der Kirche muss neu geboren werden aus diesem Beten und diesem Tun.“

Bonhoeffer, Gedanken zum Tauftag, in: Widerstand und Ergebung

In einem fiktiven Interview im Jahre 2030 schaut Ermann zurück auf die zehn Jahre seit 2020 und nennt das Neudenken und Umorganisieren von Kirche einen „Systemwechsel in den Köpfen“. In dem Magazin des Strukturausschusses besteht dieser Systemwechsel vor allem aus zwei zentralen Gedanken: Eine Neuorientierung bei den Aufgaben und die Schaffung von Verbünden.

Seit meiner Vikariatszeit 2001 begegnet mir in den evangelischen Kirchen eine Diskussion über das Pfarrbild. Ein Auszug aus einem kleinen Text über den „perfekten Pfarrer“ persifliert ein merkwürdiges Pfarrbild:

Der perfekte Pfarrer predigt genau zwölf Minuten, er verdammt die Sünde rundum, tut aber niemandem weh. Er arbeitet von morgens acht Uhr bis Mitternacht und ist auch Hausmeister der Gemeinderäume.
Der perfekte Pfarrer kümmert sich sehr um die Jugend und verbringt die meiste Zeit mit älteren Menschen. Er lächelt stets mit ernstem Gesicht. Er macht täglich sieben Hausbesuche und ist immer in seinem Büro erreichbar, wenn man ihn braucht.
Der perfekte Pfarrer hat immer Zeit für alle Gruppen, nichts geht ohne ihn im Kindergarten und er ist ständig im Seniorenheim präsent.

Axel Kühner: Ein Lächeln macht die Runde

Volker A. Lehnert hat vor Jahren in einem Vortrag die verschiedenen Positionen für ein verändertes Pfarrbild zusammengetragen. Ein Bild, dass der Strukturausschuss entwirft, ist das vom Teampfarrdienst. Eine Teampfarrerin oder ein Teampfarrer arbeitet in Zukunft vielleicht in einem multiprofessionellen Team mit einer Gemeindepädagogin, einem Gemeindemanager, einem Kirchenmusiker und einem Hausmeister zusammen. Dadurch könnte vielleicht das Arbeitsfeld klarer umrissen und die Aufgaben professioneller erledigt werden. Das theologische Bild im Hintergrund ist die Vorstellung von dem einen Körper, der aber aus verschiedenen Teilen besteht, die alle ihre besondere Aufgabe haben.

Die zweite Idee ist die Schaffung unterschiedlicher Verbünde. Das könnte zum Beispiel ein Gebäudeverbund sein, in dem die Kirchengemeinden zwar Eigentümer ihrer Gebäude bleiben würden, aber die Gebäude aber gemeinsam verwalten. Bei einer Raumanfrage könnte dann z.B. nachgeschaut werden, ob nicht in der Nachbargemeinde zu einem bestimmten angefragten Zeitpunkt ein Raum frei ist, wodurch sich evtl. die Raumauslastung verbessern ließe. Überhaupt würde das Gebäudemanagement zentral organisiert. Ein anderes Beispiel sind Personalverbünde, bei denen zum Beispiel eine Gemeindesekretärin oder ein Gemeindesekretär zwar regelmäßig vor Ort ist, aber selbst wenn am Wohnort das Gemeindebüro geschlossen ist, wäre über eine Servicenummer immer ein Büro verlässlich erreichbar, um z.B. einen Patenbrief auszustellen.

Die Autorinnen und Autorinnen von „Zehnvor“ legen Wert darauf, dass ihre Überlegungen zwar im Zusammenhang mit der erwarteten Finanzentwicklung im Kirchenkreis steht, diese aber nicht die treibende Kraft für die angedachten Veränderungen ist. Es geht ihnen darum, Kirche neu zu denken und anzupassen an gesellschaftliche Entwicklungen, wie zum Beispiel die Digitalisierung und die Wahrnehmung von Kirche als religiösem Dienstleister für die Lebensbegleitung. Das heißt aber eben auch, realistisch mit künftigen finanziellen Mitteln zu rechnen. Steigende Ausgaben bei den Gehältern – von Pfarrerinnen und Pfarrern bis hin zu Gemeindesekretärinnen und Mitarbeitenden in den Kitas – sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie die Ausgaben für Gebäude – und das Ganze vor dem Hintergrund voraussichtlich deutlich sinkender Kirchensteuereinnahmen. Dafür werden unterschiedliche Finanzmodelle vorgestellt, die in Zukunft zu diskutieren sind.

Sympatisch an der vorgelegten Zukunftsvision ist, dass ihr erklärtes Hauptziel ist Zukunft zu gestalten und nicht bloß den Mangel zu verwalten. Es wird nicht davon geredet, dass ein bestimmter Handlungsvorschlag alternativlos ist, sondern das ganze Magazin ist eine Einladung, Alternativvorschläge in die künftige Diskussion einzubringen. Die Botschaft ist: Wir haben Handlungsspielräume und Zeit zum Handeln, aber wir müssen die Spielräume auch nutzen und Handeln. Kein alarmistisches „Fünf vor Zwölf“ bildet den Tenor der Texte, sondern ein etwas drängelndes „Zehn vor“. Ich bin gespannt, wie der Gesprächsfaden aufgenommen werden wird.

Nachtrag: Mittlerweile ist das Magazin online als pdf abrufbar.

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