Ein junger Mann kommt zu einer alten Frau und erzählt: „Leben ist so schwer. Alles drückt mich nieder.“ „Aber nein“, sagt die Alte, „Leben ist federleicht.“ „Ich habe das Gefühl, ich breche bald unter dem Gewicht zusammen“, stöhnt der Junge, doch die Alte entgegnet: „Die meisten Lasten legen wir uns selbst auf die Schultern.“ „Aber …“, will der Junge einwenden, doch die Alte hebt Einhalt gebietend die Hand: „Dieses ‚aber‘ allein wiegt schon eine Tonne.“ – Von Sorgen erfüllt und eingebunden in die Mühen des alltäglichen Hamsterrads ist für manche das Leben fast unverträglich, während andere mit Leichtigkeit durchs Leben schlendern.

Jesus ruft: „Ich preise dich, Vater, du Herr über den Himmel und die Erde! Denn du hast das alles vor den Weisen und Klugen verborgen. Aber den einfachen Leuten hast du es offenbart. Ja, Vater, so hast du es gewollt! (…)
Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid! Bei mir werdet ihr Ruhe finden. Nehmt das Joch auf euch, das ich euch gebe. Lernt von mir: Ich meine es gut mit euch und sehe auf niemanden herab. Dann wird eure Seele Ruhe finden. Denn mein Joch ist leicht. Und was ich euch zu tragen gebe, ist keine Last.«

Mt 11,25–30 Basisbibel

Einfach richtig leben lernen, so verstehe ich die große Einladung, die Jesus ausspricht. Aber diese Einladung hat Tücken.

Das Leben ist eine komplizierte Angelegenheit – deshalb braucht es kluge Regeln für alle möglichen Lebensbereich. Die richtige Ernährung ist z.B. vegan. Oder vegetarisch, Low Carb, Paleo, Rohkost, Trennkost … Man darf nicht Fliegen. Aber wenn doch, dann nur mit Ausgleichszertifikaten oder anderen klimaneutralisierenden Ablassbriefen.

Rabbiner zur Zeit Jesu waren davon überzeugt, dass die Tora uns sagt, wie wir leben sollen. Allerdings sind die Verse der Tora nicht wortwörtlich zu verstehen. Die Rabbiner waren keine modernen Fundamentalisten. Ihr Schriftverständnis war davon geprägt, dass die Tora nicht fertig ist. Man muss sie immer wieder neu lesen, man muss lernen, diskutieren und forschen, um immer besser zu verstehen, was will Gott. Der eine Rabbi lehrte seine Jünger vielleicht, man darf keine 100 Schritte am Shabbat gehen. Ein andere widersprach und sagte: „Die Anzahl der Schritte ist egal, solang man nichts trägt.“ So ging des zwischen den verschiedenen rabbinischen Schulen hin und her. Die Lebens-Lehre eines Rabbi verstand man sinnbildlich als Joch, dass er seinen Jüngern auflegte. Die Jünger eines Rabbi lernten seine Lehre, d.h. sein Joch zu tragen. Das richtige Leben ist eine komplizierte Angelegenheit. Geht das nicht einfacher?

„Einfach Leben lernen“ ist eine große Sehnsucht unsere Zeit, weil das Leben so komplex und kompliziert ist. Ein Beispiel dafür ist Tiki Küstenmachers Bestseller Simplify your life (Vereinfache dein Leben), das Ende 1990er Jahre erschien und sich noch immer gut verkauft. Die Botschaft des Pfarrers und Cartoonisten ist: „Entrümpeln, Entschleunigen, Entspannen“. Für die Jüngeren tritt an die Stelle die erfolgreiche Netflix-Serie „Aufräumen mit Marie Kondo“. Marie Kondo hat ein einfaches Mittel, um das Leben aufzuräumen. Man muss sich nur die Frage stellen: Macht ein Ding mich glücklich? Wenn nicht, dann soll man es wegschmeißen. Manche machen sich darüber lustig: Die Tipps sind banal und naiv: Ordnung ins Leben bringen, bringt mein Leben nicht in Ordnung. Insofern befürchte ich, an der Kritik ist was dran. Klar: Entrümpeln, Entschleunigen, Entspannen ist OK, aber es macht mich nicht unbedingt glücklicher.

Jesus sagt nicht: „Kommt, ich mach euch glücklich!“ Jesus sagt: „Ich lobe Gott, dass man nicht klug und weise sein muss, um zu verstehen, wie man leben soll. Ihr müht und strampelt euch ab. Kommt zu mir. Bei mir findet eure gestresste Seele Ruhe. Mein Joch, meine Lehre ist leicht, meine Regeln sind einfach.“

In einer Mail wurde ich gefragt: Was ist das „Jochartige der Christusnachfolge“? Eine wunderbare Frage. Sie zielt auf die Tücke, im verlockenden Angebot von Jesus.

Ein junger Mann kommt zu Jesus und fragt: „Was soll ich tun?“ Jesus antwortet: „Verkauf deinen Besitz, schenk das Geld den Armen und folge mir nach.“ Da ging der junge Mann traurig weg. Er war nämlich sehr reich. Mir geht es ähnlich wie diesem jungen Mann. Letzte Woche sind wir nach Angelmodde umgezogen. Im Vorfeld haben wir eine Menge Sachen weggeschmissen – das meiste aber haben wir mitgebracht, in einem großem Laster mit Anhänger. Ich hänge an meinen Büchern, an meinen Platten. Viele Dinge sind mit Erinnerung aufgeladen. Ich kann und will mich nicht trennen. Und gleichzeitig binden mich diese Dinge. Jesus konfrontiert den jungen Mann und mich mit einer unangenehmen Wahrheit: Du willst ein anderes Leben, ohne dein Leben zu ändern – aber das funktioniert nicht. Es gibt eine sog. Minimalismusbewegung, bei der Menschen versuchen, mit nur 100 Dingen im Besitz auskommen.

Es klingt so verlockend leicht, wenn Jesus sagt: „Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“ Aber ich bleibe letztlich doch im Sorgen hängen. Das ist das Jochartige der Christusnachfolge: Das Joch Jesu, seine Lehre, ist leicht. Sie zu leben ist schwer. Einfach Loslassen ist gar nicht so einfach.

In Lied „Leichtes Gepäck“ von Silbermond heißt es:

„Die Armee aus Schrott und Neurosen / auf deiner Seele wächst immer mehr, / hängt immer öfter Blutsaugend an deiner Kehle … Eines Tages fällt dir auf, / Dass du 99% nicht brauchst/ Du nimmst all den Ballast / Und schmeißt ihn weg, / Denn es reist sich besser / Mit leichtem Gepäck.“

Silbermond, „Leichtes Gepäck“

Bei Silbermond ist es eine große Erkenntnis: Ich brauche das alles gar nicht. Aber wie lange hält diese Erkenntnis an? In der Hoch-Zeit der Corona-Einschränkungen sagten viele: Plötzlich wird mir klar, was wirklich wichtig ist und was ich alles nicht brauche. Aber kaum klingen die Einschränkungen ab, mühen wir uns, möglichst schnell ins alte Fahrwasser zurück zu kommen.

Jesus sagt: Es braucht keine weise Einsicht. Er lädt ein: „Kommt zu mir mit dem, was auf euren Schultern lastet, mit dem, was euch die Kehle zuschnürt, mit den Sorgen, die euch niederdrücken, mit eurer „Armee aus Schrott und Neurosen“. Es ist eine Einladung zur Feier des Lebens, zum Fest des Glaubens und zum Weitergehen mit leichtem Gepäck. Es ist die Einladung, abzulegen, was an uns hängt und woran wir hängen – vielleicht erstmal nur für diesen Augenblick. Und dann aufatmen und Ruhe finden für die Seele.