Wo steht eigentlich der Gottesdienst im System „Gemeinde“? Diese Frage beschäftigt mich, seit ich gestern ad hoc eine Skizze zum Gemeindesystem zu Papier gebracht habe. Neben vielen anderen Sachen, die ich nicht berücksichtigt habe, ist mir diese Leerstelle nach einem kollegialen Zweiergespräch aufgefallen. Beim Kollegen, der sein System eher aus der Perspektive seiner Arbeitsfelder betrachtet hatte, stand der Gottesdienst im Zentrum.

Corona hat insgesamt eine Systemfrage gestellt: Wie systemrelevant sind Kirchengemeinden und wie systemrelevant sind Gottesdienste? Natürlich spielt der Gottesdienst auch im Selbstverständnis der Friedens-Kirchengemeinde eine wichtige Rolle. Im Moment steht das Ganze zwar unter dem Corona-Vorbehalt, dennoch ist die Erfahrung, dass der Gottesdienst seit Wiederaufnahme der Präsenzgottesdienste recht gut besucht ist, für Presbyterinnen und Presbyter nicht nur überraschend und erfreulich, sondern auch eine Bestätigung: Gottesdienst ist der Gemeinde wichtig. Auch wenn es nicht wie vor Corona ist, bestätigt sich im Gottesdienstbesuch also das Selbstverständnis durchaus:

„Der „sonntägliche Gottesdienst [hat] bei Verantwortlichen und Gemeindegliedern … einen besonders hohen Stellenwert (er wird im Durchschnitt von ca. 70 Menschen besucht). Dies spiegelt sich auch in der Außenwahrnehmung wider. Die besondere Gewichtung des gottesdienstlichen Geschehens kommt auch durch das recht hohe personelle und finanzielle Engagement der Kirchengemeinde im Bereich der Kirchenmusik zum Ausdruck. Orgel, Kirchenchor und Posaunenchor bereichern und vertiefen das gottesdienstliche Leben der Gemeinde. Die Amtshandlungen werden von Betroffenen, Gemeindegliedern und Pfarrpersonal ausgesprochen wertgeschätzt.“

Gemeindekonzeption

Trotzdem ist die Frage: Wo im System „Gemeinde“ steht der Gottesdienst? Als wichtiger Teil des Gemeindelebens müsste er in die Gesamtstruktur einzubinden sein. Mein eigenes Verständnis von Systemen ist davon geprägt, nach der Funktion eines Teils für das Gesamtgefüge zu fragen. Im System „Körper“ beispielsweise hat die Hand die Funktion, Dinge zu greifen, unter anderem um Nahrung zum Mund zu führen. Die Zähne haben die Funktion, die Nahrung zu zerkleinern etc. Im aktuellen Kolleg spielen Funktionsfragen keine große Rolle, aber für mich ist die Frage danach ein wichtiger Schlüssel. Lässt die Funktion des Gottesdienstes sich für das Gemeindeganze auf den Punkt bringen? Oder einfacher gefragt: Warum feiern wir Gottesdienst?

Die Frage ist keine systematisch-theologische Frage. Da könnte man relativ einfach antworten, wir feiern Gottesdienst, um das Evangelium zu verkünden, um Menschen zu taufen und das Abendmahl zu feiern. Das ist aber schon eine recht evangelische Antwort. Bedenkt man, dass nicht in jedem Gottesdienst getauft und Abendmahl gefeiert wird, läuft der Gottesdienst stark auf die Funktion der Verkündigung zu. Ein katholischer Kollege wird dem nicht völlig widersprechen, aber das Gewicht klar auf die Feier der Eucharistie legen. Diese theologischen Funktionen lassen sich nur schwer in das Struktogramm der Gemeinde eintragen, wenn sie nicht als Funktion für die Gesamtheit beschreibbar ist.

Sammlung von Karten mit Methoden

Die Frage zielt also eher auf Ort und Funktion im System „Gemeinde“ als einem sozialen Gebilde. Eine Funktionsbeschreibung könnte lauten, dass im Gottesdienst die Fäden der Gemeinde zusammenlaufen, er also Treff- und Schnittpunkt ist und der Gottesdienst das Gefühl für Gemeinschaft durch gemeinsames Handeln stärkt: durch gemeinsames Singen und Sprechen, gemeinsames Schweigen und Hören. Eine andere Funktion könnte sein, jedes einzelne Element im Gesamtgefüge der Gemeinde religiös „aufzuladen“: durch die Vermittlung eines Gefühls beispielsweise von Gnade, Liebe, Barmherzigkeit oder Erlösung. Eine weitere Funktion könnte die Belehrung und Unterrichtung der Gemeinde sein, sei es durch theologische Aussagen oder moralische Handlungsanweisungen.

Da die Konzeption der Friedens-Kirchengemeinde die Vielfalt der Elemente im Gesamtsystem feststellt, ordnet sie alles auf das Zentrum „Christus“ hin. Entsprechend könnte hier die Funktionsbeschreibung lauten, die Gemeindeglieder auf Christus hin auszurichten – was auch immer das im Detail heißen mag. Auch die Frage, ob das de facto der Fall ist, lasse ich mal dahingestellt. Es wäre aber eine mögliche Funktion, die der Gottesdienst haben könnte. Eine allgemeingültige Antwort könnte ich augenblicklich gar nicht geben, denn tatsächlich kenne ich die Gemeinde dazu noch zu wenig. Aber ich werde in den nächsten Tagen und inspiriert durch Fragen, die das Pastoralkolleg aufgeworfen hat, daran weiter überlegen mein Struktogramm von gestern entsprechend umarbeiten.