In der Friedenskirche gibt es eine Figur des segnenden Christus aus dem frühen 16. Jahrhundert, die seit 1978 auf einem Sockel an der Seite des Altarraums steht. Für meine heutige Antrittspredigt – eigentlich hätte heute die offizielle Einführung sein sollen – hatte ich die Idee, eine Brücke zu schlagen vom segnenden Christus über dem Eingangsportal der Beckumer Christus-Kirche zum segnenden Christus in der Friedenskirche. Vorgeschlagener Predigttext war nämlich der Aaronitische Segen. Aber als ich letzte Woche in die Kirche kam, war die Figur hinter der fahrbaren Orgel verschwunden. Aber so ist ja die Erfahrung mit dem Segen auch: Er wirkt unsichtbar und aus dem Hintergrund. Segen ist unverfügbar. Hier ist der Gedankengang meiner heutigen Predigt.

Vor Jahren hatte ich in einem Vertretungsgottesdienst eine Taufe. Der Täufling war schon etwas älter und konnte im Prinzip selbst am Taufstein stehen. Allerdings fehlten noch ein paar Zentimenter, damit er sich über die Taufschale beugen konnte. Die Küsterin brachte einen kleinen Schemel, mit dem ging es dann. Als ich nach der Taufe den Taufsegen gesprochen und dem Täufling das Kreuzzeichen als Segenszeichen auf die Stirn gezeichnet hatte, drehte er sich stolz um, machte einen Schritt ins Leere und stürzte ein den Altarraum. Er hatte den Schemel vergessen. Es gab einen erschrockenen Aufschrei der Gemeinde, aber es war nichts Schlimmes passiert. Trotzdem ruft die Geschichte in Erinnerung: Der Segen ist kein Schutzzauber. Aber Segensworte sind dennoch mehr als bloß fromme Wünsche.

Wenn ich den Aaronitischen Segen höre oder spreche, berühren mich die Worte jedes Mal aufs Neue. Sie berühren mich, weil es so kraftvolle Worte sind:

Der HERR segne dich und behüte dich,
Der HERR lasse leuchten sein Angesicht über dir
und sei dir gnädig
Der HERR erhebe sein Angesicht auf dich
und gebe dir Frieden.

Num 6,24-26
Segensgeste mit drei erhobenen
und zwei gebogenen Fingern

Oft sind Segensworte mit Gesten verbunden: die Hand auflegen zum Beispiel, oder die Hände segnend erheben. Der segnende Christus hinter der Orgel hebt die rechte Hand zum Segen. Daumen, Zeige- und Mittelfinger sind erhoben, Ringfinger und der kleine Finger gebogen. Die erhobenen drei Finger weisen auf die göttliche Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist hin. Die beiden gekrümmten Finger stehen für die göttliche und die menschliche Natur Jesu. Mit dem Kreuzzeichen, das mit dieser Geste gezeichnet wird – auf die Stirn, über der Gemeinde oder auch beim sich Bekreuzigen – wird die Verheißung ausgedrückt: „Gott ist mit dir“ – selbst wenn du fällst.

Zum Segen gehört eine berührende Geste. Aber auch Segensworte allein können Herz und Seele berühren. Sich daran zu erinnern ist gerade in dieser berührungsarmen Zeit wichtig: kein Handschlag, keine Umarmung,
keine Nähe – selbst der geteilte Atem kann gefährden. Aber Worte können wie Berührungen sein: Sie rühren uns an. Das ist ganz alltäglich spürbar. Wenn jemand einem an einem trüben Vormittag eine fröhliches „Guten Morgen“ zuträllert, wenn jemand sich herzlich für etwas bedankt oder man für etwas gelobt wird. All das kann das hebräische Wort Barach bedeuten. Segnen heißt: Gute, wohltuende, heilspendende Worte sprechen.

Klar, man könnte jetzt einwenden: Wenn Segen nicht viel mehr ist als ein Glückwunsch zum Geburtstag, sind Segensworte letztlich dann nicht doch nur nett gemeinte Worte? Ich erinnere mich ans Vikariat. In einer Kirche haben wir an Segensworten und – gesten gearbeitet. Die Seminarleiterin meinte, ich wäre viel zu angespannt und verhalten, als müsste ich den Segen kontrollieren. „Das kannst du nicht“, hat sie gesagt. Ich sollte mich dann in einer Übung beim Sprechen der Segensworte nach hinten fallen lassen, wo Mit-Vikarinnen und -Vikare standen, die mich hielten. Und tatsächlich hat sich dabei etwas verändert. Ich habe gesprochen in dem Bewusstsein, ich werde gehalten. Segen ist etwas, das auf den ganzen Menschen einwirkt: Körper und Geist, Herz und Seele. Was dabei spürbar ist, zeigt an: Segen ist mehr, als nur schöne und gute Worte zu sprechen.

Segen ist kein Schutzzauber. Nicht die Worte und die Gesten sind wirksam:
Das wäre Magie und Zauberei. Was den Segen wirksam macht ist, dass wir den Segensworten Glauben schenken. Segen ist ein dreifaches Beziehungsgeschehen: In den guten Worten, die jemand mir sagt, wird spürbar: Gott ist mir freundlich zugewandt – selbst wenn er hinter der Orgel verborgen ist. Ich kann die Kraft nicht sehen, die mich hält: es sind stärkende Hände in meinem Rücken. An dieses dreifache Beziehungsgeschehen erinnern mich die drei Finger des Segens:

• eine spricht Segensworte und traut ihnen etwas zu
• eine hört Segensworte und glaubt, dass möglich ist, was sie verheißen
• und da ist Gott, der durch seinen Geist Glauben wirkt in dem der segnet, und dem, der gesegnet wird.

Wie ich Segen verstehe, habe ich mal versucht, selbst in Segensworte zu fassen. Das erklärt es in wenigen Worten vielleicht besser, als meine langen Erklärungen:

Gott segne dich
mit einem klaren Kopf und gesunden Gliedern.
Mögest du stets festen Grund haben unter deinen Füßen
und den Himmel im Herzen tragen.
Möge deine Seele fröhlich sein
und dein Geist erfüllt von Zuversicht.

Karsten Dittmann